News vom 15.05.2024Neubeginn mit 65: Vom Zahnarzt zum Tischlerlehrling
Walter Boosfelds Reise zeigt, dass es nie zu spät ist, seiner Leidenschaft zu folgen.
Von Doris Schlachter
Simmerath/Aachen. Walter Boosfeld ist 65 Jahre alt und arbeitet in einer Werkstatt. So weit, so normal. Aber Boosfeld ist Tischler-Lehrling und hört sich in der Überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU) im Simmerather Bildungszentrum der Handwerkskammer Aachen an, was Ausbildungsmeister Marcel Braun zu sagen hat. Genauso wie seine rund 40 Jahre jüngeren Mitazubis.
In seinem ersten Lebensabschnitt war Dr. Boosfeld passionierter Zahnarzt. Wie kam er zu seiner zweiten Berufswahl? Seit Jugendtagen erledigt er handwerkliche Arbeiten im Haus, am Auto und für die erweiterte Familie meist selbst und gerne. „Dabei habe ich als Autodidakt viel gelernt und traue mir auch viel zu“, sagt er. Gelegentlich stoße er aber an seine Grenzen und sei dann auf einen ausgebildeten Handwerker und seine Sachkenntnis angewiesen. So suchte der Heimwerker einen Schreiner, „der mir an unserem Gartentor die gebrochene, bombenfest verleimte Anschlagsleiste abhobeln konnte“. Mit dem Tor auf dem Anhänger fuhr Boosfeld verschiedene Tischlereien an. Niemand wollte, konnte oder hatte Zeit, ihm zu helfen, erinnert er sich.
Dann traf er in der Aachener „Aixakt Schreinerei“ auf Tischlermeister Eduard Anselm, der zwar auch die Auftragsbücher voll, zu wenig Zeit und Personal hatte, sich dennoch des Gartentors annahm. „Die umgängliche Art und die Atmosphäre in der Werkstatt gefielen mir so gut, dass ich mir beim Abholen des Tores erlaubte zu fragen, ob er einen Lehrjungen gebrauchen könne“, erzählt der Zahnarzt. Nach Schließung seiner Praxis – 35 Jahre praktizierte Dr. Boosfeld in der Wilhemstraße – hatte er zwei Jahre lang die eigenen vier Wände renoviert und den elterlichen Hausstand aufgelöst. „Und dann habe ich mich nach einer neuen Tätigkeit umgeschaut“, so der „Unruheständler“.
Tischlermeister Eduard Anselm glaubte, dass sich sein betagter Kunde stellvertretend nach einer Lehrstelle erkundigte und staunte nicht schlecht, als dieser für sich selbst fragte. Am 1. August 2023 fing Dr. Boosfeld ein Praktikum bei „Aixakt“ an und saugte von da an das handwerkliche Wissen, das sein Chef ihm vermittelte, auf. Sein Vorhaben, eine Ausbildung zu beginnen, posaunte er, wie er selber sagt, in seinem Familien- und Freundeskreis ausführlich herum und fand ausschließlich positives Echo. Seine Frau, die fünf Kinder und zehn Enkelkinder stehen hinter „Dr. Walter“. Nach weiteren To Do’s bei Handwerkskammer und Berufsschule erfolgte am 18. Oktober schließlich der Eintrag seines Ausbildungsvertrages in die Lehrlingsrolle der Handwerkskammer Aachen. „Damit wurde ich gleichzeitig schulpflichtig – eine Schultüte erhielt ich von den Nachbarn“, sagt der Schüler und schmunzelt.
Beim heutigen Treffen steht der 65-jährige Tischler-Lehrling schon mitten im zweiten ÜLU-Block im Bildungszentrum BGZ Simmerath und arbeitet wie seine Mitschülerinnen und Mitschüler an einem Schlüsselkasten. Spiegel, Sonde und Scaler nutzt er längst nicht mehr, Bohrer und Zange sehr wohl noch. Die sehen im Werkzeugkoffer eines Tischlers aber etwas anders aus als in dem eines Zahnarztes. Letztlich sind beide Berufe jeweils ein Handwerk, das es zu lernen gilt, wenn man es richtig beherrschen will. „Ich hoffe, dass ich die drei Jahre durchhalte und die Ausbildung abschließe. Mein Respekt vor Inhalt und Umfang der Ausbildung wächst stetig. Es macht mir großen Spaß“, sagt Walter Boosfeld.