News vom 08.08.2023Gleiche Arbeit, weniger Lohn
Bundesarbeitsgericht: Tarifverträge in der Leiharbeit rechtens
Aachen. Leiharbeiter dürfen nur dann niedrigere Löhne als die Stammbelegschaft erhalten, wenn diese Ungleichbehandlung im Tarifvertrag ausgeglichen wird. Mit diesem Grundsatzurteil hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Branche unter Zugzwang gesetzt.
Nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) steht Leiharbeitnehmern grundsätzlich der gleiche Lohn wie vergleichbarem Stammpersonal zu (Equal Pay). Allerdings erlaubt es das deutsche Recht in § 8 Abs. 2 AÜG, dass in einem Tarifvertrag davon abweichende Regelungen getroffen werden – auch zu Ungunsten der Arbeitnehmer. Viele Tarifverträge für Leiharbeit sehen derzeit eine schlechtere Entlohnung vor. Dass dies gegen EU-Recht verstößt, hat der EuGH am 15. Dezember 2022 geklärt: Ein Tarifvertrag, der für Leiharbeitnehmer ein geringeres Arbeitsentgelt festlegt, muss ihnen sogenannte Ausgleichsvorteile geben, sonst ist er unwirksam.
Der Fall: Eine befristet beschäftigte Leiharbeitnehmerin aus Deutschland erhielt im Vergleich zu den Stammarbeitnehmern rund ein Drittel weniger Stundenlohn. Das war möglich, weil sie nach dem Tarifvertrag für die Leiharbeitsbranche bezahlt wurde. Die Frau klagte die Differenz von rund 1.300 Euro ein. Sie argumentierte, dass § 8 Abs. 2 AÜG und der Tarifvertrag nicht mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar seien, der in Art. 5 der europäischen Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG verankert ist. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) legte den Fall dem EuGH vor.
Das Urteil: Für geringeren Lohn müssen Leiharbeiter im Tarifvertrag einen angemessenen Ausgleich bekommen, urteilten die Europarichter. Eine Ungleichbehandlung bei wesentlichen Arbeitsbedingungen müsse kompensiert werden. Das betreffe unter anderem die Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub und das Arbeitsentgelt. Anderenfalls wären Leiharbeitnehmer nach Ansicht des EuGH nicht gut genug geschützt. Die Kriterien für eine mögliche Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz müssen laut Urteil nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch die Tarifvertragsparteien bestimmt werden. Die Tarifverträge unterliegen einer gerichtlichen Kontrolle (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 15. Dezember 2022, Az. C-311/21). Das Bundesarbeitsgericht musste in dem besagten Fall nun ein Urteil fällen, das den Linien des EuGH entspricht.
Aktuelles Urteil zur Leiharbeit: Gleicher Lohn nicht immer garantiert
Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden, dass der „Equal-Pay“-Grundsatz in der Leiharbeit eben doch nicht immer gilt. Die Ausnahme ist dann erlaubt, wenn ein Tarifvertrag diese Regelung festlegt. In Deutschland ist die Tarifbindung in der Leiharbeit mit 98 Prozent besonders hoch, wodurch Leiharbeitsunternehmen ihre Beschäftigten schlechter entlohnen können. Ohne diese Tarifverträge würde „Equal Pay“ von Beginn an gelten.
Das Bundesarbeitsgericht stützte seine Entscheidung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der festlegte, dass Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter trotz schlechterer Bezahlung einen Ausgleich erhalten müssen, beispielsweise durch mehr Urlaub. Die Richterinnen und Richter des Bundesarbeitsgerichts sahen den Ausgleich im deutschen Gesetz, das vorsieht, dass Leiharbeiter auch während verleihfreier Zeiten bezahlt werden.
Die Entscheidung des Gerichts könnte weitreichende Folgen haben und auch für andere Leihbeschäftigte bedeuten, dass höhere Löhne schwerer einzuklagen sind. Die Arbeitgeber zeigten sich erfreut über das Urteil und planen weiterhin Tarifverträge abzuschließen. Die Gewerkschaften stehen nun vor einer schwierigen Rolle, da sie erklären müssen, warum sie Tarifverträge abschließen, die schlechtere Bezahlung ermöglichen. Eine Reaktion der Gewerkschaften auf das Urteil steht noch aus, da sie derzeit in Tarifverhandlungen mit Leiharbeitsunternehmen sind.